Traditionen umgeben uns. Egal ob Familie, Wohnort, Verein, Kulturkreis, … überall stoßen wir auf Traditionen. Oft folgen wir diesen unbewusst, da sie uns von Kindesbeinen an eingebläut worden sind. Wenn man im Duden das Wort nachschlägt, findet man zunächst folgende Bedeutung:
„etwas, was im Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen, Kultur o. . in der Geschichte, von Generation zu Generation [innerhalb einer bestimmten Gruppe] entwickelt und weitergegeben wurde [und weiterhin Bestand hat]“

Ein Blick auf die Liste der Synonyme, die der Duden anführt, bringt hingegen eine weit größere Bandbreite der Tradition zu Tage: Brauch, Brauchtum, [feste] Gewohnheit, Herkommen, Konvention, Ritus, Sitte, Überlieferung, Usus; (gehoben) Gepflogenheit

In der High Fantasy spielt Tradition eine wichtige Rolle. Seit Tolkien mit seinen Werken aus Mittelerde das moderne Genre der High Fantasy begründet hat, ziehen sich viele Merkmale aus seinen Geschichten durch ganze Bücherregale. Somit hat Tolkien durch den Erfolg seiner Werke unbewusst eine Tradition im Sinne von Konventionen gegründet, die bis heute Bestand hat und von vielen bekannten und unbekannten Autoren gelebt wird. Ob George R.R. Martin in seinem Epos „Ein Lied von Eis und Feuer“, Michael Peinkofer in seine Erzählungen aus Erdwelt, Christopher Paolini in Eragon oder Veronika Serwotka in ihrer Wyvern-Trilogie. Sie alle habe eines gemeinsam, sie reihen sich ein in die Tradition Tolkiens.

Doch was bedeutet dies bei einem genaueren Blick? Vorschnell könnte man argumentieren, sie kopieren die Grundidee Tolkiens und machen daraus ein eigenes Buch. Doch das wäre vorschnell. Natürlich nehmen sie Grundzüge aus Tolkiens Werk auf, aber diese Grundzüge gab es auch schon vor Tolkien in Märchen, Sagen und anderen Erzählungen. Tolkien hat mit der High Fantasy diese Grundzüge nur neu zusammengemischt und dabei das Genre begründet. Für den Leser sind diese Strukturen gut, denn sie schaffen einen vertrauten Rahmen. Jeder High-Fantasy-Leser ist heutzutage mit Orks, Magie, Elben und Zwergen vertraut. Dadurch ist auch ein Leser von High Fantasy nicht frei von der Tradition, sondern selbst von ihr geprägt. Dies erzeugt Erwartungen beim Leser, die durch den Autor erfüllt werden wollen. Dennoch hat jedes Buch auch seine eigenen Besonderheiten und das ist auch gut so. Wer will schon einzweites Herr der Ringe lesen?

Die Aufgabe des Autors ist es also, sowohl die Tradition zu bewahren, als auch mit ihr zu brechen. Auf diesem schmalen Grat wandert er. Er darf die Leser nicht enttäuschen oder gar überfordern, indem er mit sämtlichen Konventionen des Genres bricht. Aber er darf die Leser auch nicht langweilen, weil er sich strikt an die Konventionen hält und dem Genre nicht seine ganz persönliche Note verteilt. Tradition hilft also dabei, die komplexen Fantasywelten zu verstehen, aber birgt die Gefahr von Langeweile. Die Aufgabe des Autors ist es herauszufinden, wie viel Tradition seine Geschichte benötig und wie viel Innovation sie verkraftet. Hier hilft ein feines Gespür, Feedback und eine gute Kenntnis über das Genre und die Leser.

Doch was sind nun die gängigsten Konventionen der High Fantasy? Auf Basis von Herr der Ringe haben sich bis heute einige Dinge erstaunlich gut erhalten. High Fantasy spielt in eigenständigen, meist mittelalterlich geprägten Welten. Wir finden einen Konflikt vor, der diese gesamte Welt umfasst und oft heruntergebrochen werden kann auch den Kampf Gut gegen Böse. Doch diese letzte Konvention bröckelt immer mehr und es entwickelt sich heute in die Richtung, dass Gut und Böse sich nicht mehr klar trennen lassen und die Charaktere vielschichtiger werden. Auch die Erzählstruktur des Quest wird mittlerweile oft durch Nebenhandlungen aufgebrochen und komplexer. Daneben spielt aber Magie immer noch eine wichtige Rolle in der High Fantasy. Genauso treffen wir in der Welt oft auf verschiedene Wesen. Zwerge, Orks, Elben und Drachen gehören zu den am häufigsten Vorkommenden. Eine High Fantasy Erzählung ohne ein einziges dieser Wesen ist auch heute kaum vorstellbar. Und auch ihre Kulturen und Beschreibungen haben sich nur wenig verändert. Sie haben zwar den Weg zu einer größeren Vielschichtigkeit bestritten und Orks und Drachen müssen nicht mehr zwangsläufig böse sein, aber ihre Merkmale, mit denen die verschiedene Wesensarten beschreiben werden, erinnern meist stark an Tolkien.

Wohin sich die Tradition weiterentwickelt in den nächsten Jahren, werden hauptsächlich die Konsumenten von High Fantasy festlegen. Denn mittlerweile vermischen die Medien Buch, Videospiele und Filme/Serien immer mehr und nehmen durch ihren Erfolg Einfluss auf Verlage und Filmstudios. Momentan überstrahlt die High-Fantasy-Welt sicherlich George R.R. Martin und HBO mit ihrem Serienepos Game of Thrones. Doch was kommt als nächstes? Wie viel Einfluss wird Game of Thrones auf längere Sicht auf die High Fantasy haben. Dies werden wir erst in den nächsten Jahren erfahren. Ich bin aber gespannt und voller Vorfreude auf die Weiterentwicklung des Genres!

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